Träume galten einst als Geschenk der Götter, dann als nutzloses Flackern von Nervenzellen. Heute weiß man: Die nächtlichen Visionen festigen neu erlernte Fähigkeiten und reinigen die Seele.
Träume sind ein göttliches Geschenk. Phantasos, Phobetor und Morpheus, die drei Söhne von Hypnos, dem Gott des Schlafs, weben ihre Gaben in unseren Schlaf ein. Die wertvollen Botschaften müßten interpretiert werden, meinten die Griechen im Altertum. So entstanden die Kunst der Deutung von Träumen und die Vorhersage der Zukunft. "Träume sind Schäume", diskreditiert der Materialist das geisterhafte Erleben.
Zwischen Hellenismus und Nihilismus erkannte Sigmund Freud die Träume als Botschaft des Unbewußten. Danach sind sie das Tor zu verdrängten und nicht ausgelebten Trieben, Wünschen und Affekten wie Haß und Furcht und also der Zugang zu dem, was der Mensch aufgrund kultureller Regeln und innerer Kontrollinstanzen nicht real auszuleben wagt. Im Traum könne man diese Triebe in Symbolen chiffriert und sozial ungefährlich ausleben.
Da Entscheidungen zu einem großen Teil vom Unbewußten dominiert werden und verdrängte Wünsche zu seelischen Krankheiten führen können, müsse man die Träume deuten. Wenn man den vordergründigen "manifesten" Inhalt dechiffriere, könne man die verborgene "latente" Thematik und damit tiefer liegende Konflikte erkennen. Traumdeutung sei der Königsweg zum Unbewußten, sagte Freud.
Psychoanalytiker fordern ihre Patienten auf, sich etwas "einfallen zu lassen" zu den Details ihrer Träume und "frei zu assoziieren". "Die aufkommenden Bilder führen uns an die Seelenverfassung des Patienten heran", sagt Stephan Hau, experimentell arbeitender Psychologe und Psychoanalytiker an der schwedischen Universität Linköping.
Das Assoziieren ist Teil der Umkehrung der nächtlichen "Traumarbeit". Diese maskiert die gefährlichen Antriebe in einem mehrstufigen Prozeß: Die "Verdichtung" faßt Handlungen zusammen. Die "Verschiebung" ersetzt Personen oder Gegenstände durch Symbole. So könnte etwa aus einem übermächtigen Vater ein wildes Tier oder ein strenger Polizist werden.
Heute sehen Psychoanalytiker im Traum mehr als nur die sublime Wunscherfüllung: "Das ganze Traumgeschehen, also auch die manifesten Inhalte, zeigen uns die Innenwelt des Träumenden", erläutert Stephan Hau. "Sie spiegeln die persönlichen Angelegenheiten, Ziele, Nöte und Probleme in der aktuellen Lebenssituation wider." Nicht zuletzt illustrieren sie das Verhältnis zu wichtigen Bezugspersonen und wie sich ein Mensch selbst wahrnimmt.
Man kann den Traum auch als Simulationsprozeß begreifen: Der Träumende macht Entwürfe von sich und der Welt und probiert verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit Konflikten durch. "Mißlingt ein Lösungsversuch, wird eine neue Simulation gestartet."
Für die Naturwissenschaft schien der Traum lange Zeit kein Thema. 1953 entdeckten jedoch Nathaniel Kleitmann und Eugene Naserinsky in Chicago zufällig den "REM-Schlaf": In dieser Phase bewegen Schlafende schnell ihre Augen ("Rapid Eye Movements") hinter den geschlossenen Lidern - so, als ob sie ein Geschehen mit Blicken verfolgten. Weckt man sie zu diesem Zeitpunkt auf, können etwa 90 Prozent von ihnen detailliert von Träumen berichten. Der REM-Schlaf wurde erkannt als das physiologische Äquivalent zum psychologischen Phänomen Traum.
In den siebziger Jahren identifizierten J. Allan Hobson, ein Neurophysiologe der Harvard-Universität in Boston, und sein Kollege Michel Jouvet von der Universität Lyon im Tierversuch einen hirnorganischen Zugang zu dieser Schlafphase - alle Säugetiere zeigen REM-Schlafphasen: Sie fanden einen Komplex aus Nervenzellen im entwicklungsgeschichtlich alten Hirnstamm, der über Nervenbotenstoffe Wachzustand und Schlafen reguliert. Etwa alle 90 Minuten wird der REM-Schlaf ein- und wieder ausgeschaltet.
Für Menschen ist der REM-Schlaf essentiell. Weckt man Menschen im Schlaflabor immer zu Beginn dieser Phase, "fühlen sie sich wie neben sich", berichtet die Psychologin und Psychoanalytikerin Tamara Fischmann vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt. Es kommt zu Stimmungstiefs bis hin zu Halluzinationen. Hören die Störungen wieder auf, holt der Schlafende das Verpaßte nach und fällt für einige Zeit vermehrt in den REM-Schlaf.
Während die Psychoanalyse den Traum als Seelenhygiene begreift, sah ihn Hirnphysiologe Hobson viel profaner. Er interpretierte Träume als Folge von unkontrolliert überschießenden Signalen aus dem entwicklungsgeschichtlich alten Hirnstamm. Als bewußte Provokation gegen die Psychoanalyse formulierte er: Das "moderne" Großhirn versucht die chaotischen Signale des Hirnstamms zu interpretieren und produziere so das Traumgeschehen. Aber letztlich sei das ein sinnloses Flackern der Neuronen. Freuds Traumdeutung, so schien es Hirnforschern der siebziger Jahre, hatte ausgedient.
Heute ist Hobson milder und gesteht zu: Jeder Traum hat eine persönliche Bedeutung. Eine Annäherung zwischen Psychoanalyse und Hirnphysiologie zeichnet sich ab. Der Hirnforscher Mark Solms von der Universität Kapstadt geht dabei besonders weit. Er will vollenden, woran Sigmund Freud mangels geeigneter Methoden scheitern mußte: die Vereinigung beider Disziplinen. Solms geht davon aus, daß das Gehirn des seelisch Kranken im Traum eine "Selbsttherapie" betreibe.
Die starke emotionale Komponente der Träume ist belegt: Neben dem archaischen Hirnstamm ist auch eine Region der "modernen" vorderen Hirnrinde eingebunden. Dieses Belohnungszentrum ist auch im wachen Zustand aktiv, wenn der Mensch ißt, trinkt, Drogen zu sich nimmt oder Sex hat. Die Hirnrinde scheint sogar eine wichtigere Rolle zu spielen als der Hirnstamm, wie Solms' Untersuchungen von Patienten mit Hirnverletzungen ergaben. Die Träume fallen nicht etwa aus, wenn jene Stammhirnregion zerstört ist, die die Traumsignale generiert, und wenn die Augenbewegungen im REM-Schlaf ausbleiben. Vielmehr träumen Schlafende dann nicht mehr, wenn das die Emotionen verarbeitende Frontalhirn verletzt ist.
In den vergangenen Jahren haben Wissenschaftler mit bildgebenden Verfahren in das Gehirn von Schlafenden geschaut. Diese zeigen: Wenn das Hirn das Tagesgeschehen im Traum verarbeitet, kann es sogar in allen seinen Regionen aktiv sei, spezialisierte Traumareale gibt es nicht.
Ob aber der Traum tatsächlich eine Selbsttherapie ist und man Probleme wegträumen kann, ist umstritten. Michael Schredl, Psychologe am Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit und Deutschlands regster Traumforscher, ist skeptisch: "Es werden zweifellos Emotionen verarbeitet. Aber ob das reale Probleme tatsächlich gelöst werden kann, daran scheiden sich die Geister." Das Problem: "Wir können das nicht unabhängig messen. In dem Moment, wo ein Proband von seinen Träumen erzählt, setzt er sich mit dem Geschilderten auseinander. Das kann das therapeutisch Wirksame sein, nicht das Träumen selbst."
Nicht nur die Annahme vom einen "Traumzentrum" im Gehirn hat sich als falsch erwiesen. Auch das Dogma, wonach nur die Schlafphase mit schnellen Augenbewegungen (REM) Träume gebäre, ist gefallen. Der Mensch träumt vielmehr auch im tiefen "Non-REM-Schlaf" - er bemerkt es bloß meist nicht. Schlafende, die man unmittelbar aus einer Non-REM-Phase weckt, erinnern sich nur in sieben Prozent der Fälle an einen Traum. Daß diese Erinnerung kein Überbleibsel aus einem vorherigen REM-Schlaf sein kann, zeigten Experimente, in denen Testschläfer schon früh in der Nacht geweckt wurden, bevor sie in den ersten REM-Schlaf gefallen waren. Fazit: Das Gehirn träumt mehr oder weniger die ganze Nacht.
Das schwache Erinnerungsvermögen liegt an der Qualität der Non-REM-Träume, sagt Psychoanalytiker Hau: "Sie sind kürzer, haben weniger Handlung und Emotionen und bestehen oft nur aus einem Gedanken oder einem Bild." Sie sind also weit weniger spektakulär als die gefühlsintensiven REM-Träume.
Viele Studien zeigen eine Traumfunktion, die nicht unmittelbar mit Gefühlsverarbeitung zu tun hat: Träume verankern Gelerntes. REM-Schlaf konsolidiert vor allem "prozedurale" Fähigkeiten. Dazu gehören motorische Fähigkeiten und automatisierte Abläufe wie Tanzen. "Tiefschlaf hingegen festigt das "deklarative" Wissen, also verbal reproduzierbares Wissen wie gelernte Vokabeln", erläutert Michael Schredl.
Jene Hirnregionen, die tags bei bewußten Aktivitäten besonders rege sind, sind es auch in der darauffolgenden Nacht im Schlaf. Das legen beispielsweise Studien des Neurologen Pierre Maquet von der Universität Lüttich nahe. Er ließ Testpersonen im Positronen-Emissions-Tomographen (PET) schlafen. Das Gerät macht den Stoffwechsel sichtbar und damit das Maß der Aktivität in verschiedenen Hirnregionen. Bei Maquets Probanden waren im traumreichen REM-Schlaf jene Areale besonders rege, die auch im Wachzustand auf Hochtouren gearbeitet hatten, wenn etwa Bewegungsabläufe eingeübt worden waren. In Träumen werde deshalb, so die Annahme, Gelerntes verankert.
Aber was sind die konkreten Traumhandlungen, an die man sich des Morgens erinnert? Träumt man Verbotenes? Vom Sex mit der schönen Frau des Nachbarn? Vom Sturz des lästig gewordenen Ehegatten vor einen Zug? Eine Umfrage des Instituts Allensbach ergab vor einigen Jahren Profanes, was nach Ansicht von Michael Schredl aber möglicherweise mit oberflächlicher Fragetechnik zu tun hatte: Danach träumen 81 Prozent der Befragten von Arbeit, Beruf, Reisen und viel Geld. Aber in den nächtlichen Traumgespinsten kommen auch Verstorbene sowie die Themen Sturz, Fallen, Fliegen, Tod, Angriff, Verfolgung, Flucht, Lob und Krieg vor.
Doch es dominiert der Alltag. Michael Schredl hat die "Kontinuitätshypothese" untermauert. Sie besagt, daß der Mensch vornehmlich von dem träumt, was ihn jüngst beschäftigt hat. "Der Vortag ist am wichtigsten, mit weiter Zurückliegendem beschäftigen sich Träume deutlich seltener. Und je gefühlsbetonter die Tagesereignisse waren, desto wahrscheinlicher tauchen sie im REM-Schlaf auf." Da verwundert es dann auch nicht, wenn extrem belastende Erlebnisse im Schützengraben oder von Kindesmißbrauch auch noch Jahrzehnte später zum Alp werden.
Aristoteles, Descartes und Freud träumten übrigens bunt, wie die meisten. Vor Jahrzehnten häuften sich indes Berichte von schwarzweißen Träumen - die nun zunehmend wieder von Farbträumen abgelöst werden. Eine Deutung dieses eigentümlichen Phänomens lieferte der Philosoph Eric Schwitzgebel von der Universität Kalifornien: Die Menschen träumten parallel mit dem Aufkommen des Schwarzweißfernsehens monochrom - zumindest schilderten sie es so. Als die TV-Bilder bunt wurden, wurden es auch wieder die Träume. Offenbar gibt es also eine Traumwahrnehmung, die sich eng an den magisch-bewegten Bildern orientiert. Eine aktuelle Studie bestätigt diese Annahme: Chinesische Probanden erzählten statistisch um so häufiger von Farbträumen, je länger ihre Erfahrung mit Farbfernsehen war.
Mit bewegten Bildern arbeitet auch Tamara Fischmann. Sie simuliert den träumenden Umgang mit Alltagssituationen und analysierte, wie kurze, unbewußte (exakter: vorbewußte, "subliminale") Reize im Wachzustand in Träume einfließen. So wurden Probanden Texte in beschleunigtem Tempo vom Band vorgelesen sowie einzelne Bilder von nur 1/125-Sekunde in längeren Sequenzen gezeigt. Die Probanden konnten weder Texte noch Bilder bewußt erkennen, dennoch tauchten Elemente dieser Stimuli in späteren Träumen auf. Die Probanden fertigten von ihnen Zeichnungen an, unabhängige Personen bewerteten dann, ob Elemente der subliminalen Reize darin vorkamen. Das taten sie tatsächlich - in einer Form wie zerlegt und neu zusammengesetzt.
Große Hoffnungen setzen Traumforscher auf bildgebende Verfahren. Sie sollen mehr Klarheit bringen über die Parallelen zwischen Tag- und Traumgeschehen und über die Beteiligung unterschiedlicher Hirnregionen. Die PET reicht den Forschern nicht, denn sie hat eine zeitliche Auflösung von nur 20 Minuten. Die Forscher wollen die Hirnaktivität zeitlich detaillierter erfassen und mit Hirnströmen im Wachzustand vergleichen. Dafür ist die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) geeignet. Auch mit ihr werden Stoffwechselvorgänge und damit Hirnaktivitäten sichtbar - aber zeitlich besser aufgelöst. Das Problem: Die fMRT ist zu laut, die Probanden können kaum einschlafen. Manchmal gelingt es, wenn sie zuvor ein oder zwei Nächte nicht schlafen dürfen.
Auch einige Psychoanalytiker wollen sich die Maschinen zunutze machen. Stephan Hau: "Die Idee ist, die Traumentstehungs- und -bearbeitungsprozesse, wie sie Freud beschrieben hat, mit hirnphysiologischen Parametern zu vergleichen." Nicht nur der Traum soll mit solchen Methoden erforscht werden. Mark Solms schwebt vor, Patienten während ganzer psychoanalytischer Sitzungen damit ins Gehirn zu blicken.
(W.Merkel)
Träume sind ein göttliches Geschenk. Phantasos, Phobetor und Morpheus, die drei Söhne von Hypnos, dem Gott des Schlafs, weben ihre Gaben in unseren Schlaf ein. Die wertvollen Botschaften müßten interpretiert werden, meinten die Griechen im Altertum. So entstanden die Kunst der Deutung von Träumen und die Vorhersage der Zukunft. "Träume sind Schäume", diskreditiert der Materialist das geisterhafte Erleben.
Zwischen Hellenismus und Nihilismus erkannte Sigmund Freud die Träume als Botschaft des Unbewußten. Danach sind sie das Tor zu verdrängten und nicht ausgelebten Trieben, Wünschen und Affekten wie Haß und Furcht und also der Zugang zu dem, was der Mensch aufgrund kultureller Regeln und innerer Kontrollinstanzen nicht real auszuleben wagt. Im Traum könne man diese Triebe in Symbolen chiffriert und sozial ungefährlich ausleben.
Da Entscheidungen zu einem großen Teil vom Unbewußten dominiert werden und verdrängte Wünsche zu seelischen Krankheiten führen können, müsse man die Träume deuten. Wenn man den vordergründigen "manifesten" Inhalt dechiffriere, könne man die verborgene "latente" Thematik und damit tiefer liegende Konflikte erkennen. Traumdeutung sei der Königsweg zum Unbewußten, sagte Freud.
Psychoanalytiker fordern ihre Patienten auf, sich etwas "einfallen zu lassen" zu den Details ihrer Träume und "frei zu assoziieren". "Die aufkommenden Bilder führen uns an die Seelenverfassung des Patienten heran", sagt Stephan Hau, experimentell arbeitender Psychologe und Psychoanalytiker an der schwedischen Universität Linköping.
Das Assoziieren ist Teil der Umkehrung der nächtlichen "Traumarbeit". Diese maskiert die gefährlichen Antriebe in einem mehrstufigen Prozeß: Die "Verdichtung" faßt Handlungen zusammen. Die "Verschiebung" ersetzt Personen oder Gegenstände durch Symbole. So könnte etwa aus einem übermächtigen Vater ein wildes Tier oder ein strenger Polizist werden.
Heute sehen Psychoanalytiker im Traum mehr als nur die sublime Wunscherfüllung: "Das ganze Traumgeschehen, also auch die manifesten Inhalte, zeigen uns die Innenwelt des Träumenden", erläutert Stephan Hau. "Sie spiegeln die persönlichen Angelegenheiten, Ziele, Nöte und Probleme in der aktuellen Lebenssituation wider." Nicht zuletzt illustrieren sie das Verhältnis zu wichtigen Bezugspersonen und wie sich ein Mensch selbst wahrnimmt.
Man kann den Traum auch als Simulationsprozeß begreifen: Der Träumende macht Entwürfe von sich und der Welt und probiert verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit Konflikten durch. "Mißlingt ein Lösungsversuch, wird eine neue Simulation gestartet."
Für die Naturwissenschaft schien der Traum lange Zeit kein Thema. 1953 entdeckten jedoch Nathaniel Kleitmann und Eugene Naserinsky in Chicago zufällig den "REM-Schlaf": In dieser Phase bewegen Schlafende schnell ihre Augen ("Rapid Eye Movements") hinter den geschlossenen Lidern - so, als ob sie ein Geschehen mit Blicken verfolgten. Weckt man sie zu diesem Zeitpunkt auf, können etwa 90 Prozent von ihnen detailliert von Träumen berichten. Der REM-Schlaf wurde erkannt als das physiologische Äquivalent zum psychologischen Phänomen Traum.
In den siebziger Jahren identifizierten J. Allan Hobson, ein Neurophysiologe der Harvard-Universität in Boston, und sein Kollege Michel Jouvet von der Universität Lyon im Tierversuch einen hirnorganischen Zugang zu dieser Schlafphase - alle Säugetiere zeigen REM-Schlafphasen: Sie fanden einen Komplex aus Nervenzellen im entwicklungsgeschichtlich alten Hirnstamm, der über Nervenbotenstoffe Wachzustand und Schlafen reguliert. Etwa alle 90 Minuten wird der REM-Schlaf ein- und wieder ausgeschaltet.
Für Menschen ist der REM-Schlaf essentiell. Weckt man Menschen im Schlaflabor immer zu Beginn dieser Phase, "fühlen sie sich wie neben sich", berichtet die Psychologin und Psychoanalytikerin Tamara Fischmann vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt. Es kommt zu Stimmungstiefs bis hin zu Halluzinationen. Hören die Störungen wieder auf, holt der Schlafende das Verpaßte nach und fällt für einige Zeit vermehrt in den REM-Schlaf.
Während die Psychoanalyse den Traum als Seelenhygiene begreift, sah ihn Hirnphysiologe Hobson viel profaner. Er interpretierte Träume als Folge von unkontrolliert überschießenden Signalen aus dem entwicklungsgeschichtlich alten Hirnstamm. Als bewußte Provokation gegen die Psychoanalyse formulierte er: Das "moderne" Großhirn versucht die chaotischen Signale des Hirnstamms zu interpretieren und produziere so das Traumgeschehen. Aber letztlich sei das ein sinnloses Flackern der Neuronen. Freuds Traumdeutung, so schien es Hirnforschern der siebziger Jahre, hatte ausgedient.
Heute ist Hobson milder und gesteht zu: Jeder Traum hat eine persönliche Bedeutung. Eine Annäherung zwischen Psychoanalyse und Hirnphysiologie zeichnet sich ab. Der Hirnforscher Mark Solms von der Universität Kapstadt geht dabei besonders weit. Er will vollenden, woran Sigmund Freud mangels geeigneter Methoden scheitern mußte: die Vereinigung beider Disziplinen. Solms geht davon aus, daß das Gehirn des seelisch Kranken im Traum eine "Selbsttherapie" betreibe.
Die starke emotionale Komponente der Träume ist belegt: Neben dem archaischen Hirnstamm ist auch eine Region der "modernen" vorderen Hirnrinde eingebunden. Dieses Belohnungszentrum ist auch im wachen Zustand aktiv, wenn der Mensch ißt, trinkt, Drogen zu sich nimmt oder Sex hat. Die Hirnrinde scheint sogar eine wichtigere Rolle zu spielen als der Hirnstamm, wie Solms' Untersuchungen von Patienten mit Hirnverletzungen ergaben. Die Träume fallen nicht etwa aus, wenn jene Stammhirnregion zerstört ist, die die Traumsignale generiert, und wenn die Augenbewegungen im REM-Schlaf ausbleiben. Vielmehr träumen Schlafende dann nicht mehr, wenn das die Emotionen verarbeitende Frontalhirn verletzt ist.
In den vergangenen Jahren haben Wissenschaftler mit bildgebenden Verfahren in das Gehirn von Schlafenden geschaut. Diese zeigen: Wenn das Hirn das Tagesgeschehen im Traum verarbeitet, kann es sogar in allen seinen Regionen aktiv sei, spezialisierte Traumareale gibt es nicht.
Ob aber der Traum tatsächlich eine Selbsttherapie ist und man Probleme wegträumen kann, ist umstritten. Michael Schredl, Psychologe am Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit und Deutschlands regster Traumforscher, ist skeptisch: "Es werden zweifellos Emotionen verarbeitet. Aber ob das reale Probleme tatsächlich gelöst werden kann, daran scheiden sich die Geister." Das Problem: "Wir können das nicht unabhängig messen. In dem Moment, wo ein Proband von seinen Träumen erzählt, setzt er sich mit dem Geschilderten auseinander. Das kann das therapeutisch Wirksame sein, nicht das Träumen selbst."
Nicht nur die Annahme vom einen "Traumzentrum" im Gehirn hat sich als falsch erwiesen. Auch das Dogma, wonach nur die Schlafphase mit schnellen Augenbewegungen (REM) Träume gebäre, ist gefallen. Der Mensch träumt vielmehr auch im tiefen "Non-REM-Schlaf" - er bemerkt es bloß meist nicht. Schlafende, die man unmittelbar aus einer Non-REM-Phase weckt, erinnern sich nur in sieben Prozent der Fälle an einen Traum. Daß diese Erinnerung kein Überbleibsel aus einem vorherigen REM-Schlaf sein kann, zeigten Experimente, in denen Testschläfer schon früh in der Nacht geweckt wurden, bevor sie in den ersten REM-Schlaf gefallen waren. Fazit: Das Gehirn träumt mehr oder weniger die ganze Nacht.
Das schwache Erinnerungsvermögen liegt an der Qualität der Non-REM-Träume, sagt Psychoanalytiker Hau: "Sie sind kürzer, haben weniger Handlung und Emotionen und bestehen oft nur aus einem Gedanken oder einem Bild." Sie sind also weit weniger spektakulär als die gefühlsintensiven REM-Träume.
Viele Studien zeigen eine Traumfunktion, die nicht unmittelbar mit Gefühlsverarbeitung zu tun hat: Träume verankern Gelerntes. REM-Schlaf konsolidiert vor allem "prozedurale" Fähigkeiten. Dazu gehören motorische Fähigkeiten und automatisierte Abläufe wie Tanzen. "Tiefschlaf hingegen festigt das "deklarative" Wissen, also verbal reproduzierbares Wissen wie gelernte Vokabeln", erläutert Michael Schredl.
Jene Hirnregionen, die tags bei bewußten Aktivitäten besonders rege sind, sind es auch in der darauffolgenden Nacht im Schlaf. Das legen beispielsweise Studien des Neurologen Pierre Maquet von der Universität Lüttich nahe. Er ließ Testpersonen im Positronen-Emissions-Tomographen (PET) schlafen. Das Gerät macht den Stoffwechsel sichtbar und damit das Maß der Aktivität in verschiedenen Hirnregionen. Bei Maquets Probanden waren im traumreichen REM-Schlaf jene Areale besonders rege, die auch im Wachzustand auf Hochtouren gearbeitet hatten, wenn etwa Bewegungsabläufe eingeübt worden waren. In Träumen werde deshalb, so die Annahme, Gelerntes verankert.
Aber was sind die konkreten Traumhandlungen, an die man sich des Morgens erinnert? Träumt man Verbotenes? Vom Sex mit der schönen Frau des Nachbarn? Vom Sturz des lästig gewordenen Ehegatten vor einen Zug? Eine Umfrage des Instituts Allensbach ergab vor einigen Jahren Profanes, was nach Ansicht von Michael Schredl aber möglicherweise mit oberflächlicher Fragetechnik zu tun hatte: Danach träumen 81 Prozent der Befragten von Arbeit, Beruf, Reisen und viel Geld. Aber in den nächtlichen Traumgespinsten kommen auch Verstorbene sowie die Themen Sturz, Fallen, Fliegen, Tod, Angriff, Verfolgung, Flucht, Lob und Krieg vor.
Doch es dominiert der Alltag. Michael Schredl hat die "Kontinuitätshypothese" untermauert. Sie besagt, daß der Mensch vornehmlich von dem träumt, was ihn jüngst beschäftigt hat. "Der Vortag ist am wichtigsten, mit weiter Zurückliegendem beschäftigen sich Träume deutlich seltener. Und je gefühlsbetonter die Tagesereignisse waren, desto wahrscheinlicher tauchen sie im REM-Schlaf auf." Da verwundert es dann auch nicht, wenn extrem belastende Erlebnisse im Schützengraben oder von Kindesmißbrauch auch noch Jahrzehnte später zum Alp werden.
Aristoteles, Descartes und Freud träumten übrigens bunt, wie die meisten. Vor Jahrzehnten häuften sich indes Berichte von schwarzweißen Träumen - die nun zunehmend wieder von Farbträumen abgelöst werden. Eine Deutung dieses eigentümlichen Phänomens lieferte der Philosoph Eric Schwitzgebel von der Universität Kalifornien: Die Menschen träumten parallel mit dem Aufkommen des Schwarzweißfernsehens monochrom - zumindest schilderten sie es so. Als die TV-Bilder bunt wurden, wurden es auch wieder die Träume. Offenbar gibt es also eine Traumwahrnehmung, die sich eng an den magisch-bewegten Bildern orientiert. Eine aktuelle Studie bestätigt diese Annahme: Chinesische Probanden erzählten statistisch um so häufiger von Farbträumen, je länger ihre Erfahrung mit Farbfernsehen war.
Mit bewegten Bildern arbeitet auch Tamara Fischmann. Sie simuliert den träumenden Umgang mit Alltagssituationen und analysierte, wie kurze, unbewußte (exakter: vorbewußte, "subliminale") Reize im Wachzustand in Träume einfließen. So wurden Probanden Texte in beschleunigtem Tempo vom Band vorgelesen sowie einzelne Bilder von nur 1/125-Sekunde in längeren Sequenzen gezeigt. Die Probanden konnten weder Texte noch Bilder bewußt erkennen, dennoch tauchten Elemente dieser Stimuli in späteren Träumen auf. Die Probanden fertigten von ihnen Zeichnungen an, unabhängige Personen bewerteten dann, ob Elemente der subliminalen Reize darin vorkamen. Das taten sie tatsächlich - in einer Form wie zerlegt und neu zusammengesetzt.
Große Hoffnungen setzen Traumforscher auf bildgebende Verfahren. Sie sollen mehr Klarheit bringen über die Parallelen zwischen Tag- und Traumgeschehen und über die Beteiligung unterschiedlicher Hirnregionen. Die PET reicht den Forschern nicht, denn sie hat eine zeitliche Auflösung von nur 20 Minuten. Die Forscher wollen die Hirnaktivität zeitlich detaillierter erfassen und mit Hirnströmen im Wachzustand vergleichen. Dafür ist die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) geeignet. Auch mit ihr werden Stoffwechselvorgänge und damit Hirnaktivitäten sichtbar - aber zeitlich besser aufgelöst. Das Problem: Die fMRT ist zu laut, die Probanden können kaum einschlafen. Manchmal gelingt es, wenn sie zuvor ein oder zwei Nächte nicht schlafen dürfen.
Auch einige Psychoanalytiker wollen sich die Maschinen zunutze machen. Stephan Hau: "Die Idee ist, die Traumentstehungs- und -bearbeitungsprozesse, wie sie Freud beschrieben hat, mit hirnphysiologischen Parametern zu vergleichen." Nicht nur der Traum soll mit solchen Methoden erforscht werden. Mark Solms schwebt vor, Patienten während ganzer psychoanalytischer Sitzungen damit ins Gehirn zu blicken.
(W.Merkel)
2 Kommentare:
und wie haben Sie geschlafen heute, was haben Sie geträumt?
vorhin wusste ich es noch; interessanterweise erinnern sich Kinder länger an ihre Träume
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